Im letzten Blogbeitrag haben wir bereits über Tipps und Tricks zum Thema "mäkelige Esser" berichtet.
Heute wollen wir uns der Frage widmen, wo das Mäkeln oder auch die Essensverweigerung bei kleinen Kindern eigentlich herkommen, wie sich spezifische Phänomene in dem Zusammenhang nennen und in welcher Form Eltern hier vielleicht trotzdem positiven Einfluss nehmen können.
Grundsätzlich ist es im Kindesalter noch so, dass Essen viel weniger rational wahrgenommen wird als bei Erwachsenen. Während Erwachsene womöglich auf den Nährstoff- oder Energiegehalt achten, steht bei Kindern primär die Sättigung in Kombination mit gutem Geschmack im Vordergrund.
Genau deshalb sind Aussagen wie "Iss nicht so viele Süßigkeiten, sonst wirst du dick!" oder auch "Gemüse ist gesund!" auch problematisch. Dahinter steckt eine für Kinder nicht unmittelbar erlebbare Konsequenz.
Ein Beispiel: Ein Kind verzehrt auf einer Geburtstagsfeier viel Kuchen und Süßigkeiten. Die Eltern haben es vorher ermahnt: viele Süßigkeiten machen dick und dann passt dir deine Kleidung nicht mehr!
Das Kind wird am Folgetag garantiert weiterhin wie gewohnt in seine Kleidung hineinpassen. Dass eher ein langfristiger Prozess des Zunehmens gemeint ist, ist für das Kind nicht erlebbar, weshalb es den Wahrheitsgehalt der elterlichen Aussage in Frage stellen könnte.
Ähnlich kann es sich bei Aussagen wie "Von Gemüse wirst du groß und stark!" verhalten. Auch hier wird das Kind nicht sofort einen Unterschied feststellen können und ggf. im Anschluss der elterlichen Behauptung misstrauen.
Ebenso kann das Argument gesund bzw. ungesund Aversionen oder Vorlieben fördern, oft aber anders als gewünscht. "Gesund" wird mit meist ungeliebtem Gemüse verbunden, während Süßes oder auch Fettiges als ungesund betitelt und vielleicht sogar verboten wird - wobei dies in vielen Fällen nur den Wunsch fördert, diese Lebensmittel zu verzehren.
Hilfreich ist es an dieser Stelle, eher auf direkt erlebbare Empfindungen wie den Geschmack zu setzen. Mit der Aussage "Probier doch mal, schmeckt wirklich toll!" in Kombination mit dem gleichzeitigen Verkosten in der Rolle als Vorbildfunktion wird man viel eher Akzeptanz von gewünschten Lebensmitteln aufbauen können.
Neophobie
Hinter diesem Begriff steckt die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten.
Diese ist grundsätzlich in allen Lebensbereichen zu finden, allerdings wird sie häufig bei Kindern in Zusammenhang mit Lebensmitteln beobachtet.
Von Geburt an ist jeder Säugling zuallererst auf die Geschmacksrichtung süß geprägt. Allein die Muttermilch ist schon leicht süßlich, allerdings hat diese Prägung auch einen evolutionär bedingten Hintergrund: Süß bedeutet ungiftig.
Saurer oder bitterer Geschmack könnte hingegen auf potenziell Giftiges oder Ungenießbares hindeuten, weshalb anfänglich diese Geschmäcker abgelehnt werden.
Wenn die Mutter sich in Schwangerschaft und Stillzeit sehr divers und ausgewogen ernährt, viele unterschiedliche Gewürze und auch Saures sowie Bitteres verzehrt, kann ein Grundstein in Hinblick auf spätere Akzeptanz des Verzehrten gelegt werden, da das Kind prä- sowie postnatal diese Geschmäcker bereits in abgeschwächter Form verkosten konnte.
Nach der Stillzeit wird das Kind zunehmend mobiler. Abgesehen von den Familienmahlzeiten wird es nicht ständig bei der Nahrungsaufnahme beobachtet. Die Neophobie ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schutzmechanismus. Der Verzehr von vertrauten, bereits als sicher verbuchten Lebensmitteln schützt vor etwaigen Gefahren.
Mere exposure effect
Beschreibt den Effekt der Gewohnheitsbildung durch das "Hineinschmecken" in die am Wohnort vorherrschende Esskultur. Das Kind imitiert das Verhalten der Eltern oder anderer Vertrauenspersonen und prägt so seine ersten Geschmacksvorlieben und gewinnt Vertrauen in bestimmte Lebensmittel. "Ich esse nur, was ich kenne" ist das Sicherheitsprinzip hinter der Ausbildung dieser Lebensmittelpräferenzen. Denn werden Speisen ohne negative Konsequenzen vertragen, dann erkennt der Esser sie am Geschmack wieder, identifiziert sie als sicher (nicht giftig!) und kann sie beruhigt ein weiteres Mal essen.
Spezifisch-sensorische Sättigung
Zu häufiges Wiederholen der Ernährung, sprich zu einseitige Ernährung wird einerseits schnell langweilig und begünstigt andererseits langfristig eine Mangelernährung. Dem wirkt das Prinzip der spezifisch-sensorischen Sättigung entgegen, in dem es eine Abneigung gegenüber einer gleichbleibenden Geschmacksqualität aufbaut.
In Kombination minimieren der mere exposure effect und die spezifisch-sensorische-Sättigung das Risiko einer Mangelversorgung mit lebensnotwendigen Nährstoffen und maximieren gleichzeitig die Sicherheit der Lebensmittelauswahl.
Ein Experiment von Clara Davis bereits aus dem Jahr 1929 belegt die funktionierende Interaktion beider Verhaltensweisen: In diesem Experiment wurde abgestillten Babys im Zeitraum von mindestens sechs Monaten die Möglichkeit geboten, all ihre Speisen selbst auszusuchen. Die Auswahl bestand größtenteils aus naturbelassenen oder für den Verzehr zubereiteten Lebensmitteln ohne den Einsatz von Fertigprodukten.
Zwar aßen die Babys phasenweise verhältnismäßig einseitig (mere exposure effect), entwickelten aber nach einiger Zeit Vorlieben für gänzlich andere Speisen (spezifisch-sensorische Sättigung). Im Durchschnitt war die Kost am Ende ausgewogen und kein Kind entwickelte Mangelerscheinungen sowie Über- oder Untergewicht.
Auch wenn aus verschiedenen Gründen ein solches Experiment heute nicht mehr denkbar wäre, so ermöglicht es doch, an das Thema Kinderernährung etwas gelassener heranzugehen. Wenn Ihr Kind also beim nächsten Essen schon wieder alles außer Nudeln mit Tomatensauce verweigert, wird daraus nicht sofort ein Nährstoffmangel entstehen. Schneller als sie denken wird der Appetit auf andere Lebensmittel kommen - garantiert!